Sitzen im Blau – die Weite, der Himmel, das schwerelose Sitzen in luftiger Höhe und den Blick schweifen lassen – das wollte ich an diesem besonderen Ort der Berliner Geschichte installieren. Der schönste Ausblick in Berlin.
Schaulust hat Rotraut von der Heide die hier zu sehende Ausstellung genannt, dabei wird natürlich auch reflektiert, dass es die Schaulust, deren Eltern Curiositas und Phantasie sind, nie abstrakt gibt, sie wandelt sich im Laufe der Zeit, reflektiert die Kodierung der Wahrnehmung, die Projektionen, die Sehpraktiken, deren Ergebnis sie – auch – ist. Schaulust ist wohl immer auch wechselseitige Spiegelung, und als Neugierde eine überschreitung der Ichgrenzen.
[1]„Reine Schaulust, Schaulust an sich gibt es nicht. Schaulust gibt es nur in ihren Verwandlungen, da sie stets aufs Neue, Unerhörte und nie Gesehene aus ist. Schaulust manifestiert sich erst am Objekt, an dem sie sich abarbeitet und es so, wie sich selbst und den Blick den sie lenkt, verändert."
Aber es handelt sich auch um ein subtiles Zurechtrücken der Schaulust, in dem Blick den Rotraud von der Heide hier eröffnet, geht es nicht um Natur/Kulturwahrnehmung als verbürgter Besitz, sondern zugleich um Wahrnehmungsschocks, die Bild und Denken in ein neues subversives Verhältnis bringen."
Schaulust realisiert sich an seinem Gegenüber, so wie es die Künstlerin Rotraut von der Heide in ihrer künstlerischen Praxis tut, die sich immer wieder in Installationen und Performances mit Orten und Nichtorten, die zugleich geopolitische und historische Schnittstellen markieren, auseinandergesetzt hat. In der temporären Besetzung/Markierung eines Ortes öffnet sich dieser über seine aktuelle architektonische Gegebenheit hinaus zum Denkraum, wiederum ein Begriff, der auf oder zwischen zwei Ebenen changiert: Einmal wird hier Denken selbst als etwas Raumbildendes verstanden wird, und andererseits kann Denkraum im drei-dimensionalen Raum als Gebäude, als Architektur erscheinen. Denken ist Bewegung. Der Prozess des Denkens ist die Bewegung zwischen den Polen ICH und WELT und ICH und Nicht-ICH.
Der Denkraum ist diese Spanne zwischen Subjekt und Objekt und umfasst ein Doppeltes. Einmal ist die Setzung des Raums Bedingung für das Denken überhaupt, dann aber muß dieser Raum immer wieder neu gefüllt werden. Erst die sinnhafte Ausgestaltung der leeren Distanz, die fühlende/denkende Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt, in der das Fremde, Bedrohliche zu einem ‚fast’ Eigenen wird, ohne doch seine Eigenwilligkeit zu liquidieren, prägt und kennzeichnet diesen Raum.
Die Ausdrucksleistungen schaffen/sind Raum. Sie können so als Schichtung begriffen werden, das erfahrene Symbole und symbolische Erfahrung miteinander in einem dynamischen Prozess verbindet und damit die Bahnen und Wanderstraßen markiert und nachzeichnet, auf denen man er-fährt. Gerade dadurch nimmt die Kunst Räumlichkeit und ihre Produktion, Speicherung und Macht in sich auf. Genau in diesem Sinne arbeitet die Geistesarchäologie von Rotraud von der Heide mit Symbolen, Räumen und Zeichen, wobei der Ort als lieu de memoire, einem Archiv vielfach gebrochenen Geschichte und sein spezifischer Genius loci herausgetrieben, die - auch utopischen – Potentiale, das noch-nicht-Realisiertes anschaulich werden.
Exemplarisch geschieht dies hier mit der geschichteten Geschichte der Abhörstation auf dem Teufelsberg, die im Bild und Text untersucht wird. In der künstlerischen Forschung wird der unwirtliche Ort so dem Vergessen entrissen, aus dem Schatten geholt und ans Licht der Wahrnehmung gebracht.
Die Fotos sind Cuts in die Geschichte hinein, durch die Geschichte, legen – auch – Wunden, Versäumnisse, Fragen offen. Und wie bei Cuts in der Musik entstehen in den hier ausgebreiteten Fotografien neue übergänge und Transitorien, wobei der Ort selbst zur Zeit ein eigenartiges Transitorium ist, Einschnitte in das Kontinuum zwischen entschiedener Vergangenheit und ungewisser Zukunft des Gebäudes, von dem doch einmal unsere Freiheit abhing. In der Abhörstation kristallisiert sich der Ost-West-Konflikt Das Gelände, das heute verwahrlost daliegt, wird neu gesehen. Rotrauds Stills sprengen – in der Pause der Besonnenheit - in der für einen Moment angehaltenen Geschichte neue Erfahrungen und Potentiale frei. Potentiale, die - wie im Paradox – durch die positiven Akte von Vandalismus und Zerstörung, ihrer subversiven Kraft Form werden. Das Panorama, mit seinen wechselnden Atmosphären, in das wir hier eintreten, ist eine Impulsmaschine – und ein Instrument der Befreiung. Natürlich hat der hier gezeigte Zyklus Vorläufer – und hoffentlich weitere Weiterungen. Wobei der Teufelsberg mehrfach im Brennpunkt stand.
Bereits 1990 feierte sie mit anderen Künstlerinnen das Ende des kalten Krieges mit einem Sonnentor und ein Tor ist ja immer eine Passage, die übergänge nicht nur von einem Ort zum anderen, sondern auch zu anderem Bewusstsein ermöglicht. Die Sonne als Energiespender kann auch im Sinne von der Notwendigkeit zum Umschmelzen rigider, starrer Haltungen und Gedanken verstanden werden.
Und nun wird die Abhörstation zum Thema und in der künstlerischen Offerte zu einem Ort der Besinnung und der Reflektion. Hier könnte, mit einem Wort von Heidegger, die „Verwindung der Vergangenheit“ (anstelle von überwindung), sinnfällig werden, ein Verarbeiten, ein produktives Umgehen mit ihren Spuren und Lasten - im Gegensatz zum Verdrängen.
Die (leere) Musensitz mag darauf hinweisen: In jeder Neugestaltung geht es um die schöpferische Energie, um Schöpfung im Sinn der zu verwirklichenden Freiheit. Und die Mutter der Musen ist Mnemosyne, die Erinnerung, sie gibt uns auf im Akt der Selbstbesinnung den Leidschatz der Geschichte zu begreifen, den Leidschatz der Menschheit zu humanem Besitz werden zu lassen. Die Ausstellung hier ist eine Einladung, dies zu tun.
Dorothée Bauerle-Willert